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Weng Chun Kung Fu mit Kindern und Jugendlichen:

Eine Schule fürs Leben!

Das Weng Chun Kung Fu ist eine hervorragend konzipierte Schule der Selbstverteidigung und des Zweikampfs. Das ist in Fachkreisen unbestritten. Daneben ist es aber auch ein ausgefeiltes pädagogisches System zur Persönlichkeitsentwicklung von Kindern und Jugendlichen. Diese Sichtweise ist in der Öffentlichkeit bisher noch vernachlässigt worden.

Kindheit heute

Der Lebensalltag von Kindern und Jugendlichen ist in der modernen Welt davon geprägt, ständig erreichbar zu sein, immer schnell an ein Ziel zu kommen und vor allem keine Informationen zu verpassen (egal, ob sie eine persönliche Relevanz haben oder nicht). Eine ständige Reizüberflutung durch Bilder, Geräusche und Informationen beschäftigt unsere Wahrnehmung, und virtuelle Welten ersetzen das konkrete Er-Leben. Kinder und Jugendliche machen heute weitaus mehr Sekundärerfahrungen (Fernsehen, Videospiele, Chat), als dass sie durch aktives Tun „mit Leib und Seele“ an der Wirklichkeit teilnehmen.

Eine Konsequenz davon ist, dass viele Kinder und Jugendliche heutzutage nicht einmal mehr die einfachsten Bewegungsabläufe durchführen können. Sie sind konditionell sehr schwach und haben auch im Hinblick auf Geduld und Muße bei einer kniffeligen Tätigkeit eine sehr geringe Ausdauer. Des Weiteren werden viele Kinder heute aggressiv, sind einsam und ohne Orientierung , weil ihr Leben immer weniger dem entspricht, was Heranwachsende brauchen: ein gesundes Gleichgewicht von Spannung und Entspannung, Gemeinschaft und All-ein-sein , Aktion und Muße, Forderung und Förderung, Selbständigkeit und Führung (Begleitung) – damit sie sich gesund entwickeln können.

Das Weng Chun Kung Fu – eine pädagogische Schatzkammer

Das Weng Chun Kung Fu bietet Kindern und Jugendlichen vielschichtige Möglichkeiten, sich als gesunde und zufriedene Menschen zu entwickeln. Es gibt auf allen Ebenen etwas zu lernen – motorisch, psychisch / emotional, sozial und intellektuell. An erster Stelle hat das regelmäßige Üben im Weng Chun Kung Fu einen großen und positiven Einfluss auf die körperliche Entwicklung und die Gesundheit. Das liegt an der Nähe zum Yoga und zum Chi Gong, also dem Verständnis von gesunden Bewegungen und aktiver Entspannung. Des Weiteren werden durch das respektvolle miteinander Üben soziale Fähigkeiten gefördert und der Aufbau einer stabilen Persönlichkeit durch die pädagogische Begleitung unterstützt.

Die KampfKunstPädagogik des Weng Chun Kung Fu

Die Pädagogik des Weng Chun Kung Fu beinhaltet drei Dimensionen: Gesundheitsförderung, Selbstverteidigung und persönliche Entwicklung. Die Gesundheitsförderung und die Selbstverteidigungskompetenz werden über das Praktizieren der Bewegungskultur vermittelt, die Persönlichkeitsentwicklung wird darüber hinaus durch den qualitativen Lehrer-Schüler-Dialog gefördert.

Gesundheit zeigt sich im Verständnis des Weng Chun Kung Fu in den Erscheinungsformen von Wohlbefinden und Lebenstüchtigkeit. Dieses Verständnis bezieht sich sowohl auf die körperliche, als auch auf die psychische Ebene. Neugierde (Motivation, Mut) und Energie (Lebensfreude, Tatendrang) entwickeln sich durch eine aktive Teilnahme am Leben und seinen Möglichkeiten. Vermeidung, Rückzug und Trägheit hingegen führen zur Krankheit. Das Weng Chun Kung Fu führt Kinder und Jugendliche zur körperlichen und psychischen Gesundheit, denn es weckt die Bewegungsfreude, die im kindlichen Sein bereits natürlich verankert ist. Wenn Kinder ihre Bewegungsfreude (wieder) entdeckt haben, und es Gewohnheit geworden ist, sich zum Üben auch mal zu überwinden, dann macht es große Freude, sich anzustrengen. Denn die Anstrengung wird durch intensives Eigenerleben und viele Lernerfolge belohnt.

Bewegung erleben, Handlung begreifen, sich selber verstehen lernen

Andreas Hoffmann mit seiner Kindergruppe

Die Bewegungskultur des Weng Chun Kung Fu bietet für die Persönlichkeitsentwicklung ideale Bedingungen. Das Erlernen dieser Kampfkunst im Kindes- und Jugendalter prägt die Persönlichkeit auf eine ganz besondere Art und Weise. Kinder und Jugendliche lernen nämlich mit dem Weng Chun Kung Fu ein Kunsthandwerk. Dieses hat in seiner pädagogischen Wirksamkeit die gleiche Qualität wie das Erlernen eines Musikinstruments. ln dieser Kunst ist der eigene Körper das Instrument, den es im Hinblick auf Wahrnehmung und Handlung steuern zu lernen gilt. In der Kampfkunst geht es darum, unseren Körper und seine Bewegungen umfassend wahrzunehmen. Hierzu dienen die vielschichtigen Übungsarten:

Die Bewegungsformen (Look Dirn Sun Kuen, Fa Kuen, Weng Chun Kuen, ...), die dazu gehörenden Anwendungen und Partnerübungen (Cni Sao), die Übungen am hölzernen Mann (Holzpuppe), der Freikampf und die Übungen mit den Waffen (Langstock und Doppelmesser), welche die Ebenen der Wahrnehmungen noch einmal um den Umgang mit einem weiteren Werkzeug (neben unserem eigenen Körper) erweitern.

Dabei lernen Schüler und Schülerinnen keine einzelnen Techniken, sondern setzen sich im wesentlichen mit den Prinzipien (TAI – heben, ausheben, LAN – verriegeln, blocken, DIM – tropfen, Punkt-schocken, KIT– ablenken und zurückgeben, GOT – im Halbkreis schneiden / sinkend, WUN – zirkeln, bewegen, LAU – hineinfließen) und den Konzepten (Sau, Qua, Kap, Pau, Chap, Kam, Chün, Deng, Poon, Bin) der Kampfkunst-Bewegungen auseinander. Weil das Weng Chun Kung Fu ein so vielschichtiges Bewegungssystem ist, erfahren Kinder und Jugendliche dadurch auch eine umfassende Schulung ihres Bewegungsrepertoires. Besonders die für das Weng Chun Kung Fu typische Auseinandersetzung über Prinzipien und Konzepte erweitert das Verständnis von dem eigenen Bewegungskonzept, dem eigenen Handlungskönnen und damit vom eigenen Selbst.

Lernen durch Forschen – Begreifen durch Hinterfragen und überprüfen

Im Weng Chun liegt das Bestreben darin, den Angreifer mit nur wenig Kraftaufwand unter die eigene Kontrolle zu bringen. Runde, bogenförmige Bewegungen stehen hierbei im Vordergrund. Um diese Bewegungsweise zu erlernen, muss man schlichtweg experimentieren. Dabei macht man Fehler und ist bemüht, diese im nächsten Versuch zu korrigieren. Und das passiert so lange, bis „die Sache rund läuft“. „Fehler“ werden also zu unseren Freunden, denn sie helfen uns auf unserem Lernweg. Wir sprechen hierbei von funktionalem Lernen – also davon, das Lernen zu lernen. Lernen zu Lernen bedeutet eben nicht, etwas nachzumachen – das ist die Basis, es bedeutet eigenständig zu Forschen und sich dabei selber zu entwickeln. Lernen (also Gesundheitsübungen, Kämpfen, bzw. sich selbst verteidigen zu lernen) und Persönlichkeitsentwicklung gehen dabei Hand in Hand, weil eine kritische Selbstüberprüfung und ein durch eigenes Forschen in Frage stellen Erproben das des Gezeigten und Gesagten den Lernweg immer begleiten. Da jeder Körper anders funktioniert, und daher jede/r die Handlungsprinzipien körperlich etwas anders umsetzt, lernen Kinder sehr früh, dass es auch im Kung Fu letztlich keine unumstößliche, allgemeingültige Wahrheit gibt. Sondern nur die Wahrheit, die für meinen Körper (meine Wirklichkeit) funktioniert. Diese Aspekte stärken das Erkenntnisvermögen und führen zu persönlicher Eigenständigkeit. Daher sind alle pädagogischen Methoden auch auf die Förderung des eigenen Selbstverständnisses der Schülerin, des Schülers hin ausgerichtet.

Kampf, Kunst und Pädagogik

Wenn Kinder und Jugendliche aus der reichhaltigen Schatzkammer des Weng Chun Kung Fu ldeen und Erfahrungen schöpfen können, haben sie ein umfassendes Handwerkzeug erworben, das ihnen dabei behilflich ist, selbstbewusst, zufrieden und körperlich gesund zu leben. Denn sie haben gelernt, was sie tun müssen, damit sie zufrieden sind. Sie haben neben der Selbstverteidigungsfähigkeit und einem umfassenden Gesundheitsverständnis ebenfalls gelernt, sich selber und Situationen besser einschätzen zu können. Das Handwerkzeug, das sie im Unterrichtsraum erworben haben, können sie auch in das alltägliche Leben hineintragen. Für die Erarbeitung dieser lebensdienlichen Kompetenzen erhalten sie von den hierfür ausgebildeten Kampfkunstlehrerinnen und -lehrer der IWCKFA professionelle Unterstützung.

In der pädagogischen Arbeit mit Kindern und Jugendlichen wird hierbei auf diese vier Tugenden ein besonderer Wert gefegt: Disziplin (kontinuierliche Mit-Arbeit), ein respektvolles Miteinander, das Ablegen von Selbstzweifeln und Mut (die innere Einstellung, Herausforderungen anzunehmen).

Regelmäßiges Üben im Weng Chun Kung Fu hilft dabei, dass Kinder und Jugendliche (wieder) ins eigene Gleichgewicht hinein finden. Denn es trainiert die wichtigste Kompetenz, die das moderne Leben von den (jungen) Menschen er-fordert: Mit der Aufmerksamkeit bei sich zu bleiben. Jede Unterrichtssituation, in der wir das miteinander Kämpfen üben, erfordert eine hohe Konzentration darauf, dass ich die vielen Informationen (Distanz, Geschwindigkeit, Masse, Bewegungsart, Bewegungsrichtung, Ausdruck des Übungspartners und mir selbst, bzw. der Aufgabenstellung) auf die für mein Handeln notwendigen Variablen reduziere. Das bedeutet, dass ich meine Wahrnehmung auf die grundlegenden Aspekte fokussiere (sinken, von Außen ins Zentrum dringen) und meine Energie auf die wesentlichen Komponenten lenke (Welche Brücke / Strategie ist in dieser Situation sinnvoll?); regelmäßiges Üben führt mich dazu, dass ich mich nicht irritieren, nicht ablenken lasse, dass ich keiner inneren oder äußeren Illusion anhafte.

In den Vokabular des Weng Chun Kung Fu heißt diese Kompetenz Fok Fu, bildlich gesprochen: Den Tiger reiten – oder:

Werde eins mit dem Tiger.

Text: Jan Schulz, Christoph Fuß

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